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Donnerstag, 14. November 2019

SHU-HA-RI - oder wie gehe ich mit Anpassungen von agilen Methoden um?

Bei der Einführung neuer Methoden in der Organisation - z.B. Scrum im Bereich Projektmanagement  - ruft der  Menschenverstand förmlich danach, sich pragmatisch den Gegebenheiten anzupassen. Doch ist diese schnelle Anpassung im langfristigen Sinne des Zieles einer erfolgreichen agilen Transition?

SHU-HA-RI, Die Technik des Lebens

Dieses alte japanische Konzept des Lernens soll auf KAWAKAMI FUHAKU (1719-1807) zurückgehen. Es beschreibt die drei Lernstufen zur Meisterschaft. ShuHaRi wird oft als Tool und Technik des Lernens benutzt.

Shu-ha-ri heisst übersetzt: " erst lernen, dann loslösen und endlich übertreffen".

SHU = beschützen, verteidigen, einhalten, befolgen
HA = zerreißen, durchbrechen
RI = sich entfernen, sich trennen, abschneiden

Japanische Kampfkunst als Beispiel

Die japanische Philosophie, auf der ja große Teile der agilen Prinzipien beruhen, bietet auch hier eine klare Empfehlung. Die dortige Kampfkunst kennt drei Stufen des Lernens, die ein Schüler von den Anfängen bis zur Meisterschaft seiner Kunst durchläuft. „Shu Ha Ri“ bezeichnet diese Entwicklung und meint: Erst lernen, dann entfernen, dann weiterentwickeln. Das Konzept, abgeleitet kann von agile Teams und Trainer als Tool angewendet werden, um festzustellen in welchem Stadium sich das Team befindet und das weitere Vorgehen bewußt zu wählen.

SHU = Anwenden und das Lernen der Form
HA  = Abweichen, oder das Überschreiten der Form
RI  = Freie Verwendung, oder eigene Wege finden

SHU ist die Stufe des Anfängers, der sich ein sicheres Fundament aneignen soll durch Nachmachen des Gezeigten und Erklärten. Wenn das Team in der SHU Phase ist, ist es nicht besonders reif und es ist ratsam die Regeln der agilen Methodik zu befolgen.

HA ist die Stufe, in der "der Lernende" die Techniken beherrscht und nun beginnt die Hintergründe der Techniken und Formen zu hinterfragen und zu verstehen. Wenn das Team reifer ist und bereits in der HA Phase, kann es gewisse Regeln anpassen (brechen), um bessere Ergebnisse zu erzielen.

In der RI-Stufe hat "der Lernende" das Wissen seines Lehrers vollständig aufgenommen und ist selbst zum Meister gereift. Es ist ihm möglich, sich von einem übergeordneten Standpunkt aus von dem Bisherigen zu entfernen und seiner eigenen Auffassung über das Vorgehen zu folgen. In der letzten RI Phase ist das agile Team in der Lage neue Regeln zu definieren und beste Ergebnisse zu erziehlen.

SHU - HA - RI  und Scrum

Finden Sie hier einige Verhaltensmuster, die Ihnen demonstrieren, wo sich Ihr Team auf der SHU-HA-RI Skala befindet:

1.Ist das Team "neu in Agile" oder neu als Team? Dann ist es in der Phase SHU.
  • Hat das Team agile Praktiken verändert oder gar gestrichen und dabei die Idee hinter diesen Praktiken verloren? 
  • Hat das Team "agile" mit anderen Methoden vermischt, so dass die Vorgehensweise nicht mal dem Team klar ist? 
  • Ist das Team gereizt, wenn Sie das Agile Manifest erwähnen?
Wenn eine dieser Fragen positiv beantwortet wird, dann hat das Team zu früh die HA Phase betreten! Das Team ist in SHU und braucht den Trainer in dieser Phase!

2. Lebt das Team die Ideale des Agile Manifestes?
  • Widerspiegelt das Verhalten des Teams, dass es für Menschen und Interaktionen, funktionierende Software, Zusammenarbeit mit den Kunden und schnelle Reaktion auf Änderungswünsche steht? 
  • Benutzt das Team die best practices und gewinnt es neue Erkenntnisse, die es ihm erlauben von Sprint zu Sprint besser zu werden? 
  • Überlegt das Team gründlich bevor es agile Praktiken anpasst, streicht oder hinzufügt? 
  • Kann es mit den Folgen solcher Änderungen professionell umgehen? 
Falls das zutrifft, dann ist das Team in der Phase Ha und braucht eine Unterstützung in die Tiefen der Agilen Methode einzudringen.

3. Hat das Team seine agile Praktiken ständig perfektioniert und dabei die agilen Werte und Prinzipien eingehalten?
  • Hat das Team die "Tal der Tränen" überquert und dem Unternehmen schnellere Produktauslieferungen und höhere Kundenzufriedenheit gebracht?
  • Hat das Team die notwendige Reife und Einstellung sich selbst zu überwachen und selbst zu verbessern? 
Falls das der Fall sein sollte, dann hat das Team die Ri Phase erreicht und sie müssen es seinen Weg gehen lassen.

Montag, 26. Juni 2017

Ist Ihre Organisation Gung ho?

Was ist das denn für eine komische Frage - denken Sie sich wahrscheinlich - oder?

Nun, Gung ho! (man spricht es aus, als: gang ho) ist der chinesisches Ausdruck für Enthusiasmus oder auch hingebungsvolle Beschäftigung mit einem Thema.

Begeisterte und inspirierende Mitarbeiter, die Mehrwert für den Kunden bringen, sind der Schlüssel zum Erfolg. Dazu möchte ich Ihnen ein sehr schön zu lesendes Buch vorstellen, das mir darüber hinaus auch sehr gut gefallen hat.

Das Buch

Im Buch Gung Ho! Wie Sie jedes Team in Höchstform bringen erzählen die beiden Autoren Ken Blanchard, Sheldon Bowles eine Geschichte von einer jungen Geschäftsführerin, die ein unrentables Unternehmen in relativ kurzer Zeit so profitabel gemacht hatte, dass sie in den Vereinigten Staaten dafür bekannt wurde. 

Die Geschichte

Eine Schlüsselrolle in der wahren Geschichte spielen Eichhörnchen, Biber und Gänse, von denen wir lernen sollen.  Eichhörnchen, Biber und Gänse als “Lehrmeister”? Ja das klingt im ersten Anflug einmal als sehr ungewöhnlich und absurd.

Das beschriebene Unternehmen steht eigentlich kurz vor dem Aus. Es ist gekennzeichnet durch bürokratische Strukturen, Kirchturmdenken, Lustlosigkeit und schlechte Zahlen, also eigentlich ein Himmelfahrtskommando. Die vom Vorstandsvorsitzenden frisch eingesetzte Geschäftsführerin wird von diesem mehr als Alibi-Stelle betrachtet, weil das Werk, wie so viele andere aus seiner Sicht, von der Schließung bedroht ist.

Die Geschäftsführerin sieht bei ihrem Start in allen Werksbereichen die Ampel auf rot stehend und betrachtet sie beim ersten Überblick die Lage als aussichtslos. Nur eine einzige Abteilung namens „Endfertigung“, scheint dort alles komplett anders zu machen.

Motivierte, begeisterte Mitarbeiter, Top-Zahlen, Stolz auf das Erreichte, überall Sichtbarkeit und Transparenz der Leistungswerte. Einzig im Werk weiß das niemand und auch niemand scheint sich dafür zu interessieren. Noch nie war irgendjemand aus den anderen Bereichen des Werkes in der Endfertigung, um dem offensichtlichen Erfolg auf den Grund zu gehen und zu lernen. 

Der Leiter dieses so erfolgreichen Bereiches wird sogar als Querulant gesehen, den man besser entlassen sollte. Das passiert natürlich nicht, ganz im Gegenteil, die Geschäftsführerin geht dem Erfolg auf den Grund. Und lernt dabei erstaunliches, im Zusammenhang mit Arbeitseinstellung nach dem „Gung Ho!“ Prinzipien.

Was ist Gung ho?

Ja, was ist „Gung Ho!“ wirklich und warum ist die Endfertigung in der Geschichte des Buches damit so erfolgreich? Der Begriff beschreibt eine positive Einstellung zum Leben und zur Arbeit. „Gung Ho!“ geht auf den indianischen Großvater des Leiters der Endfertigung, dem Haupthelden des Buches zurück. Anhand von Naturbeobachtungen hat der Großvater 3 zentrale Prinzipien für die Unternehmensführung entwickelt und weitergegeben:
  • Der Geist des Eichhörnchen – sinnvolle Arbeit
  • Der Weg des Bibers – selbst bestimmen, wie das Ziel zu erreichen ist
  • Das Geschenk der Gans – andere begeistert anfeuern

Jeder Mitarbeiter muss also erkennen, wie wichtig seine eigene Arbeit für das gemeinsame Ganze ist. Dazu benötigen die Mitarbeiter ein gemeinsames Ziel, auf das sie hinarbeiten können. Es sind bestimmte Werte festzulegen, nach denen sich alle Pläne, Entscheidungen und Aktionen richten. Diese Werte sind dazu da, bei der Zielerreichung Sinn zu stiften und für eine positive Einstellung zu sorgen.

Es wird ein Rahmen benötigt, welcher durch Ziele und Werte bestimmt ist, ebenso wie die Positionen der Spieler. Die Freiheit eines jeden, die Führung zu übernehmen, kommt aus dem Wissen, wofür man zuständig ist. Ein Gefühl der Eigenverantwortlichkeit kann jemand nur dann entwickeln, wenn die Organisation unterstützt und der Einzelne geschätzt wird.

Ebenso wichtig ist der uneingeschränkte Zugang zu Informationen. Die Leistungserwartungen müssen im Rahmen der Fähigkeiten jedes Einzelnen liegen, ambitioniert und erreichbar sein. Jeder soll angeregt werden, das Beste aus sich herauszuholen und gleichzeitig dazu angeregt werden, mehr zu lernen und Neues auszuprobieren. Echtes Lob und Anerkennung sind für die Mitarbeiter wichtig. Es muss vorbehaltlos erfolgen und Begeisterung auslösen. Damit soll eine klare Nachricht vermittelt werden – nämlich, du bist gut, du kannst das, ich traue Dir.

Das Loben im Sinne von Anfeuern erfolgt nicht nur durch die Führungskraft, sondern durch alle Mitarbeiter. Es sollten Möglichkeiten zum Feiern geschaffen werden als Anerkennung für erzielte Erfolge und geleistete Fortschritte. Die Anerkennung motiviert die Mitarbeiter, weiterhin auf ihre Ziele hinzuarbeiten. Begeisterung entsteht nur aus dem Zusammenspiel von fairer Bezahlung und Lob. Die faire Bezahlung ist dabei ein wichtiger Hygienefaktor.

Die Wörter „Gung Ho!“ scheinen ja so gar nicht zu Eichhörnchen, Bibern und Gänsen zu passen – doch offensichtlich passte der Begriff zum Großvater des Haupthelden. Dieser war Soldat im Ersten Weltkrieg und verwendete danach häufig militärische Ausdrücke. Er sagte, dass „Gung Ho!“ der chinesische Ausdruck für Zusammenarbeit sei und zur Parole für die Carlson’s Raiders während des Zeiten Weltkrieges geworden war. Die Carlson’s Raiders waren für ihren Enthusiamus, ihr Teamwork und ihre ausgezeichneten Leistungen bekannt. Das Buch wurde mit Randolph Scott und Robert Mitchum verfilmt, und seitdem ist „Gung Ho!“, welches einen grenzlosen Enthusiasmus, Energie und Hingabe an eine Aufgabe bezeichnet, ist seither fest im amerikanischen Englisch verankert.

Eichhörnchen

Über den „Geist des Eichhörnchens“ sagt uns „Gung Ho!“: Eichhörnchen sammeln in guten Zeiten und sorgen für schlechte Zeiten vor. Dafür arbeiten sie sehr hart, da es sich beim Sammeln von Nüssen um eine sehr wertvolle Arbeit handelt. Ohne das Sammeln von Nüssen würden die Eichhörnchen den Winter nicht überleben. Dabei sammeln sie die Nüsse nicht nur für sich selbst, sondern für die gesamte Gemeinschaft. Vom „Geist des Eichhörnchens“ lassen sich drei Dinge für die Unternehmensführung ableiten:
  • Jeder Mitarbeiter muss erkennen, wie wichtig seine eigene Arbeit für das gemeinsame Ganze ist.
  • Dazu brauchen die Mitarbeiter ein gemeinsames Ziel, auf das sie hinarbeiten können.
  • Es sind bestimmte Werte festzulegen, nach denen sich alle Pläne, Entscheidungen und Aktionen richten. Diese Werte sind dazu da, bei der Zielerreichung Sinn zu stiften und für eine positive Einstellung zu sorgen.

Biber

Über den „Weg des Bibers“ sagt uns „Gung Ho!“: Jeder Biber besitzt ein gehöriges Maß an Selbstbestimmung, er entscheidet, wie die Arbeit erledigt wird. Biber arbeiten wie selbstständige Unternehmer. Biber tun, was sie selbst für richtig halten, und nicht weil es Ihnen jemand aufgetragen hat. Dabei hat der Biber praktisch den perfekten Biberdamm im Hirn, er braucht noch einen Fluss und Holz dazu. Der „Weg des Bibers“ gibt uns folgendes mit:
  • Es wird ein Rahmen benötigt, welcher durch Ziele und Werte bestimmt ist, ebenso wie die Positionen der Spieler. Die Freiheit eines jeden, die Führung zu übernehmen, kommt aus dem Wissen, wofür man zuständig ist.
  • Ein Gefühl der Eigenverantwortlichkeit kann jemand nur dann entwickeln, wenn die Organisation unterstützt und der Einzelne geschätzt wird. Ebenso wichtig ist der uneingeschränkte Zugang zu Informationen.
  • Die Leistungserwartungen müssen im Rahmen der Fähigkeiten jedes Einzelnen liegen, ambitioniert und erreichbar sein. Jeder soll angeregt werden, das Beste aus sich herauszuholen und gleichzeitig dazu angeregt werden, mehr zu lernen und Neues auszuprobieren.

Gans

Über das „Geschenk der Gans“ sagt uns „Gung Ho!“: Gänse veranstalten während des Fluges eine Menge Lärm und schnattern sich dabei gegenseitig an. In der v-förmigen Flugformation gibt es keine Leitgans, jeder muss einmal nach vorn fliegen und die Führung übernehmen. Wenn man die Gänse beobachtet, scheint dies fast vollautomatisch zu gehen. Während der Flüge feuern sich die Gänse gegenseitig an – das ist das „Geschenk der Gans“:
  • Echtes Lob und Anerkennung sind für die Mitarbeiter wichtig. Es muss vorbehaltlos erfolgen und Begeisterung auslösen. Damit soll eine klare Nachricht vermittelt werden – nämlich, du bist gut, du kannst das, ich traue Dir. Das Loben im Sinne von Anfeuern erfolgt nicht nur durch die Führungskraft, sondern durch alle Mitarbeiter.
  • Es sollten Möglichkeiten zum Feiern geschaffen werden als Anerkennung für erzielte Erfolge und geleistete Fortschritte. Die Anerkennung motiviert die Mitarbeiter, weiterhin auf ihre Ziele hinzuarbeiten.
  • Begeisterung entsteht nur aus dem Zusammenspiel von fairer Bezahlung und Lob. Die faire Bezahlung ist ein wichtiger Hygienefaktor.

Wichtig ist auch noch, dass die Einführung einer „Gung Ho!“ Orientierung im Organisationen Zeit erfordert und nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann. Es ist ein Prozess. Und alte Gewohnheiten ändern sich erst, indem sie durch neue Gewohnheiten ersetzt werden. Dabei ändert sich das Verhalten der Menschen im täglichen Prozess und das verändert oftmals auch die Haltung zu den Dingen und damit einhergehend auch eine Wandlung im Denken und dadurch erst auch die Unternehmenskultur.

Resümee

Abschliessend und zusammengefasst -  ich finde das Buch sehr wertvoll, weil es viele Beispiele zu den häufig strapazierten Begriffen “Werte” und “Ziele” bietet: Worin liegt der Unterschied zwischen Werten und Zielen? Welche Bedeutung haben diese Unterschiede für die tägliche Arbeit einer Führungskraft und ihrer Mitarbeiter? Solchen und ähnlichen Fragen gehen die Autoren mit sehr großer Sensibilität nach.

Nachsatz

Ich werde oftmals gefragt: "Herr Brandstätter, das was sie uns, und das wie sie uns das Thema Agilität beschreiben, hört sich grundsätzlich gut und sehr vernünftig an. Aber wie sieht denn Agilität im Detail aus, wie fühlt sich das an, wie manifestiert sich diess in einem Unternehmen?"

Meine Antworten beschreibe ich dann meistens mit den Attributen: Offene, mutige, vertrauensvolle, respektvolle und fokussierte bzw. disziplinierte  Unternehmensorganisation und bringe da Beispiele ein, wie die Südostbayernbahn (SOB), Allsafe-Jungfalk, Haufe oder Teilorganisationen in den Unternehmen: Deutschen Telekom AG, Daimler AG oder REWE-International Group, bzw. die Firmen: Morningstar, Buurtzorg oder DaVita. Aber das klingt für viele Fragende erstmals abstrakt und abgehoben. 

Mit dem Buch "Gung ho!" habe ich nun ein sehr schönes und lesbares Anschauungsbeispiel für das abstrakte Thema Agilität im Unternehmenskontext. Auch deshalb - obwohl der Ausspruch militärisch geprägt und sehr amerikanisch belegt ist - finde ich ihn passend. Gung ho! dient für mich hinkünftig als charmante Metapher für "Moderne Arbeitswelten", "New Work", "Smart Working", "Arbeiten auf selber Augenhöhe" und sonst ähnlich assoziierten Begriffen rund um selbstbestimmtes und selbstorganisiertes Arbeiten in Teams.

Dienstag, 23. August 2016

Fucking rules - live is to short

In amerikanischen Reiseführern steht ein wichtiger Hinweis, dass die Aufforderung der Verkehrsampeln in New York mit "Walk" und Don´t walk" lediglich als Vorschläge zu betrachten sind.

Regeln werden ja dadurch am Leben gehalten, dass man ihnen folgt, ohne sie in Zweifel zu ziehen. Aber erst dann, wenn wir dies tun würden (diese Regeln ab und zu auch einmal zu überdenken), machen wir sie selbst und unser Handeln zum Thema (#www.hoheluft-magazin.de, Heft 4/2016, S.80).

Vorab - von einer Regel sprechen wir, wenn wir eine verbindliche Richtlinie für unser Handeln verwenden. Wenn wir also unser Handeln bestimmten Regeln unterwerfen, sollten wir aber auch grundsätzlich in zwei Arten von Regeln unterscheiden. Laut dem Philosophen John Rawls sprechen wir zum Beispiel von konstitutiven und von regulativen Regeln (vgl. John Rawls, 1979 in seinem Werk: Eine Theorie der Gerechtigkeit).

Konstitutive Regeln: Definieren erst überhaupt eine Verhaltensform - z.B. wird durch bestimmte Grundnormen das Zusammenarbeiten in einem Unternehmen geregelt. Diesen unterwirft man sich, wenn man die Firmenpforte des Unternehmens als Mitarbeiter betritt. Beispiele dazu sind: Arbeitszeitregelung, hierarchische Abhängigkeiten und Unterordnung (command and control) oder Lohn bzw. Gehalt als Gegenleistung für Mitarbeiterleistung.

Nach Aussage des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein (1895-1951) geht es aber eben nicht nur darum, mit den Regeln die eigene Freiheit zu strukturieren um der "eigenen Mündigkeit Genüge zu tun", sondern darum, "Gepflogenheiten" zu erfüllen, die auf Nachahmung beruhen, die die Anerkennung einer Gemeinschaft zum Ziel haben. Eine Regel maifestiert sich nach Wittgenstein also auch dadurch, dass andere ihr folgen und sich dadurch anderen Menschen anschliessen. Erst dann werden sie als Teil dieser Gemeinschaft (Familie, Gesellschaft, Firma, Verein, ...) anerkannt. Dies geschieht natürlich nicht explizit (zum Beispiel als eigenes Ritual) sondern stets im Rahmen einer sozialen Praxis, von uns als Nach Aussage des österreichischen Philosophen Ludwig Wittgenstein (1895-1951) geht es aber eben nicht nur darum, mit den Regeln die eigene Freiheit zu strukturieren um der "eigenen Mündigkeit Genüge zu tun", sondern darum, "Gepflogenheiten" zu erfüllen, die auf Nachahmung beruhen, die die Anerkennung einer Gemeinschaft zum Ziel haben. Eine Regel manifestiert sich nach Wittgenstein also auch dadurch, dass andere ihr folgen und sich dadurch anderen Menschen anschliessen. Erst dann werden sie als Teil dieser Gemeinschaft (Familie, Gesellschaft, Firma, Verein, ...) anerkannt. Dies geschieht natürlich nicht explizit (zum Beispiel als eigenes Ritual) sondern stets im Rahmen einer sozialen Praxis, von uns als selbstverständlich und verpflichtend anerkannt.
selbstverständlich und verpflichtend anerkannt.

Regulative Regeln hingegen "regeln" demnach das Verhalten, z.B. Verfahrens- und Verhaltensanweisungen für einzelne Tätigkeiten oder aber auch z.B. das Rauchverbot am Arbeitsplatz.

Übertragen wir dies in unseren betrieblichen Alltag, dann unterwerfen wir uns demnach zwei Grundarten von Regeln. Jene die man einhalten MUSS, die also das soziale Agieren und Zusammenarbeiten "regeln" und jene die man einhalten KANN.

Die KANN-Regeln sind jene, die oftmals als Lernpunkte aus positiv (aber negativ) gemachten Erfahrungen heraus im Unternehmen ermittelt, in Organisationsanweisungen formuliert werden und dann als Richtlinie zu betrachten sind.  Von diesen KANN-Regeln haben wir im Moment in Unternehmen sehr, sehr viele erstellt, oftmals kompliziert verwaltet und aufwändig operationalisiert. Ich denke da nur ans Prozessbeschreibungen, Verfahrensanweisungen, Arbeitsrichtlinien, Projektleitfäden, Corporate Governance Richtlinien, u.v.a.m.

Vielleicht ist es in unserer momentanen volatilen Wirtschaftswelt notwendig, manche Regeln (KANN-Regeln) hin und wieder mehr als Vorschläge zu betrachten - und dann einfach zu "übertreten" - wenn wir glauben, dass dies in der gegebenen Situation der bessere Weg ist.

Montag, 28. September 2015

Warum Unternehmensorganisationen nicht über ihren Schatten springen können?

Intro

Bevor wir auf diese Eingangsfrage eingehen, sollten wir vielleicht noch einige Grundsatzthemen klären. Wenn von Organisationen gesprochen wird, kommen Ihnen sicherlich Begrifflichkeiten wie Ablauf- und Aufbauorganisation in den Sinn. Grob gesprochen, beschreibt der erste Begriff, wie Personen intern und extern operativ zusammenarbeiten und der zweite der definiert, wer in Unternehmen die jeweilige Verantwortung trägt und wer an wen zu berichten hat. Vielleicht fallen Ihnen auch noch Modelle für Aufbauorganisationen ein, wie z.B.:

  • Linien- und Stablinienorganisation 
  • Divisionale Organisationsform
  • Matrixorganisation 
  • Tensororganisation,
  • Multidimensionale Matrixorganisation,
  • Beta Codex Modell,
  • Holakratie Modell,
  • Netzwerkorganisation,
  • Fraktale Fabrik,
  • Ambidextre Organisation,
  • Agile Organisationsform für Projekt und Linie nach Scrum, Scribble und Kanban
  • Zelluläre Organisation


Eventuell kommt Ihnen auch noch der Begriff „Governance“ in den Sinn. Dieser definiert, wie Macht unternehmensintern verteilt wird und wie unternehmensinterne Entscheidungen getroffen werden. Sehr grob definiert, beschreibt Governance einen Ordnungsrahmen, der einer Unternehmensführung als Handlungsanleitung dienen soll. 

Neben dieser sehr theoretischen Annäherung fallen Ihnen wahrscheinlich Anforderungen und Fragen ein, die ein modernes Organisationsmodell zusätzlich abdecken können sollte. Oder anders formuliert: Gibt es schon Organisationsmodelle oder können wir solche entwickeln, die Arbeit produktiv und doch erfüllend sowie sinnvoll machen und dabei auf die neuen stark ändernden Rahmenbedingungen in Wirtschaft und Gesellschaft Rücksicht nehmen? Bevor ich darauf näher eingehe, möchte ich noch kurz meinen persönlichen Zugang zu Organisationen und Arbeitswelten beschreiben.

Mein persönlicher Zugang zu Unternehmensorganisationen

Für mich ist die Beschäftigung mit Organisation viel mehr als nur:
  • Das abstrakte Formulieren von Abläufen im Kontext zum Unternehmenszweck,
  • das Beschreiben der dafür notwendigen Verfahrensanweisungen für die Rollen und Verantwortlichkeiten in Stellenbeschreibungen und Organigrammen, 
  • sowie das anschließend gemeinsame Umsetzen in der Organisation und dies meistens in Form von temporären Vorhaben für Optimierungs-, Befähigungs-, Digitalisierungs-, also generell von Veränderungsprogrammen. 
Organisation bedeutet für mich persönlich viel mehr: 
"Organisation bedeutet für mich die ständige Beschäftigung mit den darin tätigen Menschen zum Ziel einer funktionierenden arbeitsteiligen und dabei spaßvollen Zusammenarbeit, dynamisch angepasst an die inhaltlichen und formalen Rahmenbedingungen." 

Die Organisation stellt für mich also kein statisches, sondern mehr ein dynamisches Modell für die funktionierende Zusammenarbeit von Menschen dar. Mich interessieren dabei die unterschiedlichen Tätigkeiten im Rahmen:
  • Der Gestaltung der Organisation in Kombination mit einer co-kreativen Konzeptionsarbeit, zur Gestaltung der Zusammenarbeit, 
  • der Befähigung der Mitarbeiter und Führungskräfte,
  • der Begleitung der Organisation in der Umsetzung, 
  • des eigenen Lernens unter anderem aus den Beobachtungen der unterschiedlichen Verhaltensmuster im Zusammenarbeiten von Menschen. 
Ein paar Worte möchte ich noch zu meiner Entwicklung als Organisationsgestalter verlieren. Mein Zugang zum Thema Organisation war ursprünglich ausschließlich die Beschäftigung mit temporären Organisationen, also jenen Vorhaben die zumeist spontan entstehen und zu einer bestimmten Zielsetzung sowie schon zu Beginn mit einem bestimmten Ablaufdatum in Unternehmen etabliert werden. Ich spreche dabei von sogenannten Projektorganisationen. 

Die Projektorganisation und Projektmanagement

Folgende Aspekte - so denke ich - beschreiben den steigenden Einfluss der Projektorganisation und des Projektmanagements in die Unternehmensorganiationen sehr gut:
  • Die Menschen, die derartige Projekte starten, die sie leben und erleben, werden großteils  mit denselben Situationen konfrontiert, wie sie im Tagesgeschäft der eigenen Linienorganisation auch ablaufen. Daher wird in den Abteilungen für Personalentwicklung, für Projektmanagement auch der Begriff „Management auf Zeit“ verwendet und der Einsatz der Projektleiter oftmals als Prüfstein für kommende Führungskarrieren verwendet. Für die potentiellen Führungskräfte sind die Ausnahmesituationen der täglichen Führungsaufgabe innerhalb von Projekten oftmals besser erlebbar als in so mancher Trainingssimulation oder so manchem Assessment-Center.  
  • Ein weiterer Einfluss von Projektmanagement in die Unternehmenslandschaft ist folgender: In den letzten zehn Jahren wurden in den Unternehmen vermehrt, und dies exponentiell ansteigend,  Projekte gestartet und dies nicht nur zur Abwicklung von  Kundenaufträgen sondern auch für interne Vorhaben (z.B. Optimierungen oder sonstige Veränderungsvorhaben). Dadurch wurden Projekte fixer Bestandteile der Unternehmensorganisationen. Dieser starke Verknüpfungspunkt war auch für mich jener Moment, mich intensiver mit dem Aufbau, den Regeln und Prozessen sowie auch Befindlichkeiten von Linienorganisationen in den Unternehmen zu beschäftigen. Auch deshalb, damit Projektorganisationen nicht mehr länger als „Fremdkörper“ in der eigenen Organisation identifiziert und darin Mechanismen in Gang gesetzt werden, um diese sofort wieder „abzustoßen“. 
Projektmanagement ist also in den letzten Jahren integraler Bestandteil der modernen Unternehmensorganisation geworden.

Agieren auf selber Augenhöhe

Nun, der Anziehungsfaktor für mich in Richtung der Projektorganisationen war und ist noch immer jener, dass die Begegnung der handelnden Personen innerhalb der Projekte auf nahezu selber Augenhöhe abläuft, die Arbeit rund um die Aufgabenstellung im Vordergrund steht und die Personen sich tendenziell weniger, hinter den eigenen Hierarchien und Befindlichkeiten verstecken. Unabhängig von der Größe und der Zielsetzung eines Projektes, begegnen sich Projektauftraggeber, Projektleiter, sowie Arbeitspaketleiter grundsätzlich  auf einer „gemeinsamen Augenhöhe“ oftmals im Unterschied zum  Tagesgeschäft der eigenen Linienorganisation. 

Aber natürlich sehe ich auch häufig  in Projekten, dass die bestehende Hierarchie und Vorgehensweise nach „Command & Control“, also nicht auf selber Augenhöhe gelebt wird. Ausnahmen bestätigen auch hier die Regel. Nach meiner langjährigen Erfahrung im Umgang mit Projektorganisationen kann ich jedoch den Trend zu mehr „Augenhöhe“ in der Projektarbeit durchaus bestätigen.

Warum ist das so und warum rückt man in Projekten tendenziell näher zusammen als im Tagesgeschäft? Diese Frage führt mich wieder zum Ausgangspunkt meiner Recherchen, bzw. dient mir als Start zur Beantwortung der Eingangsfrage.

Die Organisation im Wandel der Zeit

In der Beschäftigung mit diesem Thema und der vorliegenden Arbeit verwendete ich viele Auszüge aus den Arbeiten von Frederic Laloux (vgl. 2015).

Ich möchte nun den Versuch wagen, den Blick des Lesers auf das Thema Organisation entlang eines Zeitstrahls der jüngsten Menschheitsgeschichte schweifen zu lassen und die Entwicklung von Arbeitsteilung der Menschen in Gesellschaft und Wirtschaft im Wandel der Zeit zu betrachten. Eventuell bringt uns diese etwas andere Betrachtungsweise, der Antwort auf die Eingangsfrage einen Schritt näher.

In den Untersuchungen von Historikern, Anthropologen, Philosophen, Psychologen, Ökonomen und Neurowissenschaftler zeigt sich, dass sich die Menschheit - in Stufenformen entwickelt hat und dass sich dabei die Ausprägungen der Organisation dem jeweils vorherrschenden Paradigma anpassten. In dieser Betrachtung gehen die Entwicklungen innerhalb eines Paradigmas - der Betrachtungsraum ist jener von Kontinentaleuropa - meistens kontinuierlich vonstatten. Die Übergänge jedoch, werden in Form von Stufen realisiert und durch Ereignisse und/oder Innovationen ausgelöst und sind dann als Schwellenübergänge zwischen den Paradigmen erkennbar. Wie die Organisationsmodelle entlang des Zeitstrahls und der Phase des jeweiligen Paradigmas aussehen, werde ich versuchen in der Folge zu skizzieren 

Archaisches Paradigma

Die erste beobachtete Epoche geht bei einem Punkt vor 100.000 bis vor 50.000 Jahren aus. Man bezeichnet es als das archaische Paradigma, das geprägt war von der Nahrungssuche und dem täglichen Kampf ums Überleben. Die archaische Organisationsform kannte als Arbeitsteilung nur jene zwischen Mann (Nahrungsmittelbeschaffung) und Frau (Haus und Familie). In diesem  Paradigma war noch kein Organisationsmodell, keine Hierarchie und Autorität erkennbar gewesen. 

Magisches Paradigma

Daran folgte das magische Paradigma mit dem Beginn der Epoche vor ca. 15.000 Jahren, in machen Regionen der Erde vielleicht auch schon früher. Diese Epoche korrespondiert mit der Verbindung der Menschen in kleinen Familiengruppen sowie Stämmen in der Größe von bis zu wenigen hundert Menschen. Die Menschen leben in dieser Epoche ausschließlich in der Gegenwart. Es gibt kaum Projektionen in die Zukunft. Magisch wird diese Epoche deswegen bezeichnet, da die Menschen in diesem Paradigma ihre Welt voller Magie und Geister sehen. Aus Sicht der Evolution, machten die Menschen in diesem Paradigma einen großen Schritt vorwärts. Auf dieser Stufe sehen sich die Menschen zwar als körperlich und emotional zum größten Teil gegenüber anderen differenziert, sehen sich dies aber immer noch ihr selbst als das Zentrum im Universum. Kognitiv und psychologisch betrachtet haben sie Fähigkeiten entwickelt um mit Komplexität umgehen zu können. Ursache und Wirkung können aber kaum nachvollzogen werden. Z.B. wird schlechtes Wetter noch als Bestrafung von Geistern gesehen. Der Tod wird nicht als real betrachtet. Daher gibt es bezeichnender Weise in dieser Epoche auch keine Angst vor dem Tod, was auch ein Grund für viel Gewalt und eine hohe Zahl von Tötungen in dieser Epoche sein kann. Auch auf dieser Stufe der Evolution ist eine Organisationsform noch nicht erkennbar.

Tribales und impulsives Paradigma

Historisch betrachtet, war dieses Paradigma in der Gründung der ersten Stammes- und Fürstentümer begründet. Tribe (engl. Stamm) beschreibt damit auch dieses Paradigma sehr gut. Das wichtigste Attribut in diesem Paradigma ist die „Macht“. Die Welt wird noch als gefährlicher Ort gesehen, die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse steht stark im Vordergrund und dies in Abhängigkeit davon, wie stark und widerstandsfähig man ist. Die Macht wird daher vom Stärkeren in Richtung des Schwächeren ausgeübt. Dann erst können die Bedürfnisse des Mächtigeren von dem Untergebenen eingefordert werden. Der Untergebene ordnet sich unter und hofft, dass der Mächtige für ihn sorgt. Machtverlust wird also gegen Abhängigkeit und Schutz getauscht. Entscheidungen werden situativ und impulsiv getroffen. Willkür steht in diesem Paradigma an der Tagesordnung. 

Die tribale Organisation

Die ersten sichtbaren Organisationen, die in diesem Paradigma gebildet wurden waren die Armeen der Stammesfürsten die zum Schutz oder für den Angriff gegenüber anderen Stämmen dienten. 
Die Merkmale sind: 
  • Ständige Machtausübung in der Beziehung zwischen den Personen, als ein Moment des Zusammenhalts. 
  • Der Mächtige muss sich dadurch ständig beweisen. 
  • Machtkämpfe werden oftmals ritualisiert. 
  • Die Anführer in tribalen Organisationen umgeben sich zur Schaffung einer Festigung der eignen Macht und damit Schaffung von Stabilität mit den eigenen Familienmitgliedern. 
  • Angst beherrscht diese tribale Organisationsform. 
  • Tribale Organisationen handeln grundsätzlich sehr reaktiv und aus der jeweiligen Situationen heraus. 
  • Langfristige Planungen und Strategie existieren zumeist nicht. 
  • Aufgrund der Einteilung in Mächtige und Untergebene existieren kaum weitere Hierarchiestufen. 
  • Tribale Organisation haben, sofern sie ihre Grundstabilität erreicht haben, ein geringes Wachstumspotential und können sehr machtvoll sein (wie am Beispiel Mafiaorganisationen heute noch sichtbar ist). 
  • Tribale Organisationen wiederum verlieren in stabilen Gesellschaftsformen ihren Einfluss, speziell wenn Strategien und Planungen zum Überleben notwendig werden. 

Die Errungenschaft gegenüber den vorherigen Paradigmen war die Arbeitsteilung und Schaffung einer Befehlsautorität und Befehlsgewalt.

Familienclans in den unterschiedlichen Regionen unserer Welt oder Straßen-Gangs in Großstädten in unserer Zeit sind nach dieser sehr frühen Organisationsform gebildet. Tribale Organisationen können in unserer Zeit immer auch dann kurzfristig auftauchen, wenn Krieg vorherrscht, oder in Gesellschaften und Regionen die sich in einer hoher Unsicherheit befinden (Elementarereignisse, Gesellschaftsumbrüche), an Orten wo Gesetzlosigkeit existiert bzw., Staaten sich im Umbruch befinden, bzw. Personengruppen, die ums Überleben kämpfen (z.B. Migrationslager, Ghettos in Großstädten, Gefängnisse). 

Traditionelles konformistisches Paradigma

Das ist das Zeitalter der Landwirtschaft, der ersten Bürokratien und der organisierten Religionen. Historisch betrachtet war dies der Übergang von der Stammeskultur zur Bildung von Staaten und Zivilisationen. Neben den Machthabern und Untergebenen etablierten sich in dieser Zeit vor ca. 4.000 Jahren neue Gesellschaftsschichten von Verwaltern, Priestern, Kriegern und Handwerkern. Das traditionelle konformistische Paradigma war historisch erstmals im damaligen Mesopotamien zu beobachten. Es existieren einfach moralische Regeln, die auf einem akzeptierten Verhaltenskodex basieren. Die darin vorherrschende Weltsicht ist statisch, es gibt unveränderliche Gesetze. Eine „gerechte“ Welt manifestiert sich in diesem Paradigma im Umsetzen immer das „richtige“ zu tun, belohnt mit Dingen im Diesseits und Versprechungen im Jenseits, bzw. das „falsche“ zu vermeiden. Dies führte zu teilweise drakonischen Bestrafungen im Diesseits bzw. im Jenseits und zum Teil zum Ausschluss aus der eigenen Gesellschaft. Gegenüber dem tribalen impulsiven Paradigma, wird die Autorität nun mit einer eigenen Rolle belegt und befindet sich nicht mehr in der Person des Mächtigen (z.B. Stammesfürsten). Die Entscheidung was richtig oder was falsch zu interpretieren ist, entscheidet nun die neue Gesellschaftsklasse der Priester. Traditionelle konformistische Gesellschaften zeichnen sich durch den Drang nach Stabilität, nach Ordnung, sozialen Klassen und Kasten, sichtbar in eigenen Kleidungsvorschriften um die Ordnung sichtbar zu machen sowie rigide Geschlechtertrennung aus.

„Bei großen Veränderungen in der heutigen Welt erleben viele Menschen die konformistische Sicherheit als eine anziehende Zuflucht und rufen nach einer Rückkehr zu eindeutigen festen moralischen Werten (Laloux, 2015, S. 18).“

Traditionelle Organisationen  

Im Gegensatz zu den tribalen Organisationen können traditionelle Organisationen kurz- und langfristig planen. Sie sind in der Lage, Strukturen zu schaffen, die stabil und auch wachstumsfähig sind. Dadurch können sie neue Ergebnisse liefern, die  gegenüber den Ergebnissen herkömmlicher Organisationsformen in mehreren Dimensionen überschritten wurden. Historisch betrachtet waren das herausragende architektonische Leistungen, wie z.B. Bewässerungssysteme, Kulturbauwerke (z.B. Pyramiden und Kathedralen) und Nutzbauwerke (z.B. Chinesiche Mauer). Traditionelle Organisationen betrieben schon frühzeitig eigene Handelsnetze und dann später in der Kolonialzeit auch später Plantagen und Produktionsnetzwerke. 
Die katholische Kirche ist gutes Beispiel für die traditionelle Organisationsform. Die kath. Kirche hat historisch betrachtet bis hinauf zur Gegenwart und geografisch betrachtet weltweit mit ihrer Organisation prägend auf die Menschheit gewirkt. Aber auch die meisten Regierungsorganisationen, Behördenorganisationen, wie z.B. die öffentlichen Schulsysteme sowie die meisten Militärorganisationen werden nach diesen traditionellen Prinzipien und Praktiken geführt. Traditionelle Organisation versuchen durch Bürokratie, Stabilität zu erreichen. 

Während tribale impulsive Organisation maximal Tage und Wochen im Weitblick betrachten, können traditionelle Organisation langfristige Vorhaben (z.B. Bau einer Kathedrale mit Bauzeit von 100 Jahren) verfolgen. 

Ein Durchbruch innerhalb dieses Paradigmas kam erst viel später durch die Industrialisierung mit der Etablierung von Abläufen (Prozessen) und Strukturen auf. Durch die Fragmentierung der Arbeitsschritte (Prozesse) und die hierarchische (Trennung von denken und handeln bzw. in Entscheidung und Umsetzung) sowie funktionale Arbeitsteilung (Produktion, Buchhaltung, Geschäftsführung, Vertrieb, Einkauf) wurden Organisationen noch stabiler, effizienter und effektiver.
Vordenker dazu waren Adam Smith (vgl. Smith, A., 1776), Frederic Winslow Taylor (vgl. Taylor, F., W., 1911), Henry Fayol (vgl. Fayol, H., 1929). Durch Prozesse hängt das dafür notwendige Wissen nicht mehr von einer bestimmten Person ab, sondern wird in der Organisation in Form Rollen und entsprechen Beschreibungen weitergegeben. Die Menschen, innerhalb dieses Paradigmas bzw. die sich in den traditionellen Organisationen befinden, sehnen sich großteils nach Ordnung und Vorhersehbarkeit. Veränderungen werden argwöhnisch betrachtet. Die Zukunft ist daher in traditionellen Organisationen die Wiederholung der Vergangenheit, denn dies schafft die notwendige Stabilität und daher auch Sicherheit (vgl. Laloux, 2015, S. 36).

Stabilität ist der höchste Wert und wird durch Prozesse und Strukturen gesichert. In traditionellen Organisationen - die kath. Kirch genauso wie General Motors als Industriekonzern - haben die hierarchische Pyramide als ihre Organisationsstruktur gewählt. In der kath. Kirche steht der Papst an oberster Stelle mit einer Kaskade an formellen Befehls- und Berichtswegen an die untergeordneten Kardinäle, z.B.Bischöfe bis hinunter zum Priester. Während der Mitarbeiter in einem Industrieunternehmen Anordnungen von seinem Abteilungsleiter und dieser wieder von seinem Bereichsleiter, bis hinauf zum obersten Chef, dem CEO eines Konzerns, ist in traditionellen Organisationen eine persönliche Treue zum Unternehmen, wie es in tribalen Organisationen notwendig war, nicht mehr wichtig und notwendig. Selbst wenn der CEO schwach ist, wird ein Mitarbeiter nicht versuchen, ihn zu stürzen und seinen Platz einzunehmen. Die Angst und Bedrohung vor der Gewalt der Mächtigen, wie sie in tribalen Organisationen vorhanden war, weicht in traditionellen Organisationen subtilen Bedrohungen durch Kontrollmechanismen. Es werden Regeln erstellt und Personengruppen ausgewählt, diese Regeln zu kontrollieren und zu beobachten. In diesem Paradigma herrschen überwiegend konservative Ansichten in Bezug auf die Mitarbeiter vor. In traditionellen Organisationen wird die Notwendigkeit von Kontrolle und einer Vielzahl an Kontrollmechanismen benötigt, da von folgenden Annahmen ausgegangen wird:
  • Arbeit stellt für die Menschen ein notwendiges Übel dar.
  • Daher sind Mitarbeiter intrinsisch nur bedingt für ihre Arbeit motiviert.
  • Sie müssen daher ausschließlich extrinsisch motiviert werden. 
  • Die monetäre Entlohnung gilt als der einzige, zumindest als der wichtigste Anreiz für das Entgegenbringen der Arbeitsleistung durch den Mitarbeiter. 
  • Grundsätzlich lehnt der Mitarbeiter Transparenz ab.
  • Partizipative Führung kann daher nicht funktionieren und daher muss Anweisung und Kontrolle genutzt werden um Resultate zu erzeugen.

Traditionelle Organisationen haben die Rangzuordnung durch Titel, Uniformen und Kleidung etabliert um die Rollenzuordnung und Identifikation zu stärken und auch voneinander abzugrenzen. Die soziale Zugehörigkeit ist in traditionellem konformistischen Paradigma entscheidend. Daher werden in traditionellen Organisationen Grenzziehungen der eigenen Organisation z.B. zu Kunden und Lieferanten sichtlich und erkennbar gemacht. Diese Grenzziehung manifestiert sich in den Unternehmen oftmals im sogenannten „Silodenken“ der einzelnen „Ab-Teilungen“ innerhalb der funktionalen Unternehmensbereiche.

Entscheidungen werden vor dem Hintergrund einer linearen Ursachen- und Wirkungsweise getroffen. Traditionelle Organisationen gehen von der Annahme aus, dass die Welt stabil und unveränderlich ist und dass es für Probleme den einen richtigen Lösungsweg gibt. Daher sind Regeln und Struktur die elementaren Artefakte in traditionellen Organisationen. 

Traditionelle Organisation streben historisch betrachtet nach Dominanz sowie Monopol und betrachten Mitbewerb argwöhnisch. Die traditionellen Strategiemethoden und alle Markt- und Normstrategien haben daher immer die Beobachtung und den Kampf gegen den Mitbewerb auf ihren Checklisten (z.B. Porters Five Forces) stehen. 

Das moderne leistungsorientierte Paradigma

Im modernen leistungsorientierten Paradigma zeigt sich die Welt nicht mehr als ein stabiles Universum, dass durch unveränderliche Regeln bestimmt wird, sondern als ein kompliziertes System, dessen innere Mechanismen und Gesetzmäßigkeiten untersucht und verstanden werden können. Es gibt kein absolutes wahr und falsch. Die Welt ist relativ geworden. Es gibt nur Dinge die besser funktionieren als andere. Die Effektivität ersetzt die Moral als einen Maßstab für die Entscheidungsfindung. Die Lebenszielsetzung in dieser Ära ist es, besser und schneller als der Andere und dies in einer sozial akzeptierten Weise zu sein. Durch die eigenen kognitiven Fähigkeiten werden bestehende Normen und der Status Quo hinterfragt. Historisch betrachtet wurde im Westen dieses Paradigma rund um Wissenschaftler und Künstler ausgelöst. Es war dies die Zeit der Renaissance, in der modernes Denken die bestehende christliche Welt erschütterte. In der Ära der Aufklärung und später in der Industriellen Revolution breitete sich das sogenannte moderne Denken weiter aus. Die Weltsicht in dieser Paradigmenstufe ist zutiefst materialistisch geprägt. Daher wird „mehr“ auch oftmals als „besser“ verstanden. Die Naturwissenschaften bestimmen das Denken. Richtig erkenn- und erlebbar ist dieses Paradigma nach dem Zweiten Weltkrieg und spätestens seit den Siebzigerjahren geworden. Seither bewegte sich der Großteil der Weltbevölkerung im modernen leistungsorientierten Paradigma, das eben die Führungskräfte in Politik und Wirtschaft prägt. In der Zeitspanne von ca. 100 Jahren hat uns dieses Paradigma einen bis dato nie gekannten Wohlstand gebracht. In diesem Zeitraum wurde die Vorstellung hinter sich gelassen, dass nur Autoritäten eine Lösung anbieten können. Expertenwissen und Skepsis gegen gegenüber offenbaren Wahrheiten bestimmen das Denken in dieser Ära. Ohne Angst haben zu müssen das Leben zu riskieren, wenn religiöse Dogmen oder politische Autoritäten hinterfragt haben, befreiten sich die Menschen in dieser Zeit. Menschen in dieser Ära haben das Bedürfnis als sozial erfolgreich angesehen zu werden. Daher sind sie bereit, soziale Konventionen anzunehmen, wenn sie für sie hilfreich sind. Wie in jedem Paradigma, so existieren auch hier Schattenseiten. Es sind dies sicherlich die Auswüchse von Gier der Unternehmen, kurzfristiges Denken in Wirtschaft und Politik, Überschuldung und übermäßiger Konsum, sowie eine bedenklosen Ausschöpfung der Bodenschätze.

Moderne Organisationen

Während Kirchen, Behörden und das Militär die traditionelle Organisation repräsentieren, sind es in den modernen Organisationen die global agierenden Unternehmen wie z.B. Nike, Volkswagen, Unilever oder Black Rock. Während die traditionellen Organisationen erfolgreich Wachstum geschaffen haben, schaffen moderne Unternehmen eine nie gewohnte Wirksamkeit. Begründet liegt diese Wirksamkeit sicherlich in den Umständen der Innovation und im Leistungsdenken.

Führungskräfte in modernen Organisationen erkannten, dass Potentiale für sprunghafte Verbesserungen existieren, die man erreichen kann, wenn man den Status Quo  hinterfragen und Vorschläge für Verbesserungen formulieren darf. Veränderung und Innovation stellt somit keine Gefahr mehr dar sondern sind  vielmehr eine Gelegenheit. Diese massive Zunahme an Innovationen ließ in den zweihundert Jahren dieser Ära einen nicht gewohnten Wohlstand entstehen. Neue funktionale Bereiche in modernen Unternehmensorganisationen entstehen, die in traditionellen Organisationen unbekannt waren: Forschung und Entwicklung, Marketing, Produktmanagement, Personalentwicklung und interne Beratung. Neue Rollen werden geschaffen, wie z.B. die Rolle des Controllers. Diese werden als Stabsstellen geführt mit dem Zwecke den Führungskräften laufend Informationen aus dem zumeist komplizierten Organisationsgeflecht der eigenen Unternehmung zu geben und dadurch Entscheidungen vorzubereiten. Zwar werden moderne Organisationen auch durch pyramidenhafte Strukturen bestimmt, die funktionalen Strukturen und Hierarchien öffnen jedoch ihre Grenzen mit dem Ziel, die Kommunikation innerhalb der eigenen Organisation zu beschleunigen und auch um Innovation zu unterstützen. 

Während traditionelle Organisationen von Aufbaustruktur und Prozessen bestimmt wurden, stehen in modernen Organisationen Prozesse und Projekte im Zentrum. Funktionsübergreifende Initiativen entstehen, Expertenteams bilden sich innerhalb der Organisationen. 

Der Übergang von der traditionellen zur modernen Organisation, also einer Organisation, die auf dem Leistungsprinzip aufbaut, hat den neuen Funktionsbereich der Personalentwicklung und die mit ihr verbundenen Prozesse ins Leben gerufen. Dazu gehören: Leistungsbeurteilungen, Zielgespräche, Anreiszsysteme, Ressourcenplanungen, Talentmanagement, Leadership-Training und Nachfolgeplanungen. Das beherrschende Denken ist, das jeder Mensch die Chance haben sollte, seine Fähigkeiten zu entfalten und im Rahmen seiner Rolle innerhalb des Organigramms sein Bestes beizutragen. Jeder kann aufsteigen, gleichzeitig kann niemand sicher sein, seinen Job dauerhaft zu behalten. 

Ziel der Führungskräfte in dieser Organisationsform ist es unter anderem , die MitarbeiterInnen mit Leistungsanreizen zu motivieren: Bonussysteme, Aktienausschüttungen und Auszeichnungen. Moderne Organisationen erkaufen sich den Erfolg mit komplizierten Strukturen in der Aufbau- und Ablauforganisation und ein stückweit auch durch Erhöhung der Komplexität im eigenen Unternehmen. Die Aufbauorganisation wird oftmals mit komplizierten Matrixorganisationen ausgestaltet. Um dies zu kompensieren wurden neuen  Managementprozesse und Methoden eingeführt: Strategieplanungen, Budgetzyklen, Leistungskennzahlen mittels Key Performance Indicators KPIs, und Balanced Score Cards (BSC). Moderne Organisationen sind stark mechanistisch geprägt. Das manifestiert sich unter anderem in der vorherrschenden technisch geprägten Sprache:
  • Wir sprechen von „Einheiten“ und „Schichten“, von 
  • „Input“ und „Output“, von
  • „Effizienz“ und „Effektivität“ 
  • einen „guten „Ansatzpunkt“ zu finden, 
  • das „Projekt anzuschieben und zu beschleunigen“, 
  • „Lösungen zu skalieren“, 
  • „Engpässe zu identifizieren“ und 
  • „Re-Engineering“ sowie „Downsizing“ zu betreiben.

Das postmoderne pluralistische Paradigma

Während das traditionelle Paradigma noch in einer absoluten Wahrheit von richtig und falsch unterscheidet, das leistungsorientierte Paradigma Aspekte kennt, die funktionieren bzw. nicht funktionieren, herrscht im postmodernen pluralistischen Paradigma die Ansicht vor, dass diese Ansichten immer noch zu vereinfacht sind und die Welt aus mehr als nur aus Erfolg und Scheitern bestehen muss. Dieses Paradigma ist sich der Schattenseite der modernen und leistungsorientierten Welt bewusst und sucht Gleichheit, Fairness, Harmonie, Gemeinschaft, Kooperation und Konsens.

Im 20. Jahrhundert erlebte diese Gegenbewegung schon einen ersten Höhepunkt in den 60er und 70er Jahren und dies im akademischen Denken sowie in der Bildung von gemeinnützigen Organisationen. Für Menschen, die aus diesem Paradigma heraus handeln, sind Beziehungen wichtiger als Ergebnisse. Während im modernen Paradigma ein bestimmter Führungsstil etabliert wurde, wurde im postmodernen Paradigma der Umstand begründet, dass Führungskräfte ihren Mitarbeitern auch dienen sollen (Servant Leadership). 

Aber dieses Paradigma besitzt auch seine Widersprüche. Die Gleichbehandlung stösst an Grenzen, wenn andere diese Toleranz missbrauchen und intolerante Ideen dazu verbreiten. Regeln werden in diesem Paradigma als willkürlich und ungerecht aufgefasst. Diese Regeln abzuschaffen erweist sich aber auch nicht als praktikabel. Das postmoderne pluralistische Paradigma ist zwar wirkungsvoll beim Identifizieren und Eliminieren von „ungerechten“ Strukturen, ist aber wenig effektiv bei Formulieren und Umsetzen praktikabler Alternativen.

Postmoderne Organisationen 

Grundsätzlich halten postmoderne Organisationen die leistungsorientierten Strukturen moderner Organisationen bei, geben aber die Mehrheit der Entscheidung an die Mitarbeiter und Angestellten ab, die weitreichend Entscheidungen im Rahmen ihres eigenen Tagesgeschäftes treffen zu können, ohne die Entscheidung ihrer Führungskräfte einholen zu müssen. Empowerment heisst dabei das neue Zauberwort. Die pluralistische Organisation tut sich aber schwer mit Macht und Hierarchie. Sie würde gerne beides vermeiden. 

Einige beliebte und erfolgreiche Organisationen der vergangenen Jahrzehnte - beispielhaft die Unternehmen Southwest Airlines oder Ben & Jerry zeichnen sich durch eine pluralistische Kultur und entsprechende Praktiken aus. Die postmoderne Organisation geht von der Annahme aus, dass die Menschen, die den täglichen Anforderungen und Problemen ausgesetzt sind, bessere Lösungen finden können als Experten oder Führungskräfte, die aus der Ferne darauf blicken. Deshalb sollte man ihnen auch das Vertrauen entgegenbringen. Zum Beispiel ermutigt das Management das eigene Personal von Southwestern, kreative Lösungen für die Probleme von Passagieren zu suchen, während sich im Vergleich dazu, andere Fluggesellschaften fest an geschriebene Regeln halten.

Damit leitende und mittlere Führungskräfte ihre Macht mit den Mitarbeitern teilen und einen Teil ihrer Kontrolle abgeben, müssen sie vorher präzise die Form der pluralistischen Führungskultur formulieren, damit diese funktionsfähig ist. Führungskräfte in postmodernen Organisationen sollen nicht nur distanzierte Problemlöser (wie sie in der darunterliegenden Stufe der modernen Organisationen gelebt wurden) sondern Servant Leader (dienen und entwickeln) sein. Es wird von den Personalentwicklungsabteilungen postmoderner Organisationen sehr viel Zeit investiert, um Servant Leader auszubilden und um damit auch neues Leadership zu etablieren. Die Manager werden aufgrund eines 360 Grad Feedbacks beurteilt, womit also die Führungskräfte auch gegenüber ihren eigenen Mitarbeitern rechenschaftspflichtig sind. In einigen Unternehmen dieses Paradigmas werden die Führungskräfte nicht mehr von oben nach untern, sondern von ihren eigenen Mitarbeitern gewählt. 

Der zweite herausragende Aspekt der postmodernen Organisation ist der Fokus auf die Unternehmenskultur, die derartig verteilte Organisationen mit dezentralen Machtstrukturen vor dem Auseinanderfallen bewahrt. Den Mitarbeitern wird das Vertrauen entgegengebracht, dass sie die richtigen Entscheidungen treffen, wobei sie sich an einer Reihe gemeinsamer Werte, anstatt dicker Regelbücher halten. Sie setzen eine inspirierende “Sinnausrichtung“ ins Zentrum ihres Handelns. Southwest Airlines sieht sich also mehr als nur ein Unternehmen zur Personenbeförderung. Die Passagiere bekommen „Freiheit“ vermittelt, da sie Orte bereisen können, die sie ohne die günstigen Tarife von Southwest sonst nie hätten erreichen können. Ben & Jerry geht es mehr als nur um den Verkauf von Eiscreme. Es geht auch um Umwelt und ökologische Nachhaltigkeit des Wirtschaftens.

"Dezentralisierung, Leadership und Empowerment sind also Erkenntnisse der postmodernen Organisation."

In postmodernen Organisationen sind Strategie und die daraus folgernde Ausführung sehr wichtig. Da dabei die Unternehmenskultur im Zentrum der Förderung von Kultur und Werte steht, macht sie die Personalentwicklungsabteilung oftmals zur entscheidenden Abteilung mit einem hohen Einfluss in der Geschäftsführung.

Obwohl Studien belegen, dass die nachhaltige Leistungsfähigkeit von werteorientierten Organisationen höher ist als die ihrer Mitbewerber, gibt es noch immer Menschen, die sich darüber belustigen. Insbesondere dann, wenn sich moderne leistungsorientierte Organisationen verpflichtet fühlen, diesen Trend einer postmodernen Organisation in Richtung Empowerment und Dezentralisierung - meistens halbherzig - umzusetzen und dann dadurch desillusioniert werden.

Der dritte herausragende Aspekt in postmodernen Organisationen ist die Integration verschiedener Interessensgruppen. Während in leistungsorientierten Unternehmen der Shareholder-Value, als die Werthaltung vertreten wird, also es ausschließlich um die Vorteile für Aktionäre und Anteilseigner geht, ist in modernen Organisationen der Stakeholder Value der favorisierte Wertekontext. Das bedeutet, dass zusätzlich die Interessen aller Anteilseigner am Unternehmen, Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten, Anrainer, usw. vertreten werden. Die Rolle von Leadership in diesem Kontext ist es, die richtigen Kompromisse zu finden, damit alle Interessensgruppen profitieren. 

Während in den leistungsorientierten  Organisationen die Maschine als Metapher Anwendung findet, ist jene für die postmoderne Organisationsform die Familie. Dies manifestiert sich in den Aussagen der vorherrschenden Leitbilder: „Die Mitarbeiter sind Teil unserer Familie“ oder wie z.B. bei der Southwest Airline, Leadership als "Fürsorge für die Unternehmensfamilie" verstanden wird.

Das integrale evolutionäre Paradigma

Die nächste Stufe in der menschlichen Evolution korrespondiert mit der Ebene von  Abraham Maslows Modell der menschlichen Selbstverwirklichung“ und wird dort authentisch oder integral genannt. Diese Stufe ist die oberste Stufe, die Maslow in seiner Bedürfnishierarchie erwähnt hatte. Auch vor diesem Hintergrund dass Maslow weitere Stufen erahnte, die er als Selbsttranszendenz beschrieb. Wie auch mehrere Forscher und Vordenker schon beschrieben haben, wird die menschliche Evolution an dieser Stufe nicht stehenbleiben. Jedoch stimmen alle Evolutionswissenschafter darin überein, dass der Übergang von der postmodernen zur integralen Phase ein für die menschliche Entwicklung folgenschwerer sein könnte.

Bei allen bisherigen Evolutionsstufen ging man davon aus, dass die aktuelle Weltsicht, die einzig bestimmende ist. Erst im integralen Paradigma sollte erstmals auch die Evolution des Bewusstseins akzeptiert werden und dass sich dies auch in Richtung zunehmend komplexerer und verfeinerter Verhaltens- und Beziehungsformen in der Welt manifestiert. Daher spricht Laloux in seinem Werk (2015) auch von dem integralen und evolutionären Paradigma. 

Die evolutionäre Organisation 

Die Gründer von evolutionären Organisationen nutzen eine Metapher für die eigene Arbeitsumgebung, die sie gestalten: Sie sprechen über ihre eigene Organisation als einen lebenden Organismus oder als lebendiges System. Ebenso wie das Ökosysteme mit seiner unglaublichen Schönheit geschaffen wurde und sich ständig wandelt, sehen sie ihre Unternehmen, die sich ständig in neuer Ganzheit, Komplexität und in ihrem Bewusstsein verwandeln. Genauso wie in der Natur gibt es in deren Organisationen ständig Veränderung. Dabei braucht es keine zentrale Autorität, die Befehle gibt und Entscheidungen trifft.

Folgende wichtige Durchbrüche zeichnen diese evolutionären Organisationen aus:
  • Selbstführung - evolutionäre Organisationen funktionieren vollständig ohne Hierarchie und ohne Anwendung von Konsens. Sie haben die Möglichkeit für sich entdeckt, um die Funktionsweisen von komplexen adaptiven Systemen - wie aus der Natur bekannt - auf die Unternehmensorganisation zu übertragen. 
  • Ganzheit - Organisationen waren in der Vergangenheit immer Orte, wo Menschen dazu aufgefordert wurden, sich mit einem begrenzten „beruflichen“ Selbst einzubringen und dadurch andere Teile des Selbst zu vernachlässigen. Rationalität, Effizienz und Effektivität, Zielstrebigkeit und Leistungsbereitschaft standen dabei im Fokus. Die intuitiven, emotionalen und teilweise spirituellen Aspekte des Menschen waren in diesen herkömmlichen Organisationsformen fehl am Platz. Evolutionäre Organisationen haben eine Reihe von Praktiken entwickelt, die Menschen darin unterstützen, ihre Ganzheit und das vollständige Selbst in die Arbeit einzubringen.
  • Evolutionärer Sinn - derartige Organisationen werden aus sich selbst heraus lebendig und entwickeln sich entlang ihrer Sinngebung selbst weiter. Statt die Zukunft im Detail zu planen, und voraussagen sowie  kontrollieren zu wollen, werden die Mitglieder dieser Organisationen eingeladen entlang des Sinns und Nutzens des Unternehmens sich und das Unternehmen weiterzuentwickeln. 

Die Zukunft hat schon längst begonnen

Die Zukunft hat jedoch schon längst begonnen - evolutionäre Unternehmensorganisationen existieren schon seit einigen Jahren. Die Mitarbeiter eines Konzerns wählen ihre Vorgesetzten selbst. Sie bestimmen ihre eigenen Arbeitszeiten und Gehälter. Es gibt keine Geschäftspläne, keine Personalabteilung, fast keine Hierarchie. Alle Gewinne werden per Abstimmung aufgeteilt, die Gehälter und sämtliche Geschäftsbücher sind für alle einsehbar. 

Was für heutige Personalchefs wie ein anarchischer Albtraum klingen mag, ist in Wirklichkeit eine Erfolgsgeschichte. Seit das Unternehmen von Inhaber Ricardo Semler vor ca. 15 Jahren umgestellt wurde, stiegen die Gewinne von 35 Millionen auf 220 Millionen Dollar. Und nicht nur die Zahlen geben Semler recht, sondern vor allem die Mitarbeiter: Die Fluktuationsrate bei Semco liegt unter einem Prozent.  

Nach Aussage Semler´s, ist die erste Lektion, die man als Unternehmer eines evolutionären Unternehmens zu lernen hat, dass durch die massiv gestiegene Komplexität für Organisationen, moderne Unternehmensführung nicht mehr mittels Übertragung von bewährten Rezepten und Lösungsmustern funktioniert.

Wenn ein Unternehmen heute überleben will, sollte es - nach Aussage Semler´s -unkonventionelle Wege gehen und Organisationsstrukturen dahingehend gestalten, dass deren grundlegende Prämissen wie folgt, sein sollten:
  • Den Wandel akzeptieren,
  • Gewohnheiten entfalten und fördern, die auf Achtung und Achtsamkeit statt auf Vorschriften beruhen.
  • Respekt gegenüber Mitarbeitern und die Lebensqualität des Mitarbeiters sollten oberstes Prinzip sein
  • sich so verhalten, dass sich Führungskräfte nicht wie Eltern und Mitarbeiter sich nicht wie Kinder verhalten müssen!
  • ihr Schicksal in die Hände ihrer Mitarbeiter legen.
  • Den Mitarbeitern alle Hürden aus dem Weg räumen, damit das Schwierigste gelingt, nämlich: Dass Menschen am Morgen gerne zur Arbeit gehen!

Andere vergleichbare Unternehmen, die ihre Organisation zum Teil oder zur Gänze nach dem evolutionären Paradigma  ausgeprägt haben, sind: 

FIRMA – LAND – UNTERNEHMENSZWECK
  • 1800-Flowers - US - gewinnorientiert
  • Applied Energy Service - US - gewinnorientiert
  • Allsafe Jungfalk - DE - gewinnorientiert
  • BSO/Origin jetzt ATOS NLD - gewinnorientiert
  • Buurtzorg - NLD - gemeinnützig
  • DaVita - FRA - gewinnorientiert)
  • dm-Drogeriemarkt - DE - gewinnorientiert
  • Evangelische Schule Berlin Zentrum (ESBZ) - DE - gemeinnützig
  • Fonderie et Ateliers du Vimeu (FAVI) - FRA - gewinnorientiert
  • GKD - Gebr. Kuffenrath - DE - gewinnorientiert
  • Google - US - gewinnorientiert
  • Handelsbanken - SWE - gewinnorientiert
  • Heiligenfeld - DE - gewinnorientiert)
  • Jet Blue - US - gewinnorientiert)
  • Morningstar - US - gewinnorientiert
  • Nils Holger Moormann - DE - gewinnorientiert
  • Patagonia - US - gewinnorientiert
  • Ressources for Human Development (RHD) - US - gemeinnützig
  • RWD Schlatter - CH - gewinnorientiert
  • Southwest Airlines - US gewinnorientiert
  • SAS - SWE - gewinnorientiert
  • Sun Hydraulice - US - gewinnorientiert
  • Südostbayernbahn (SOB) - Tochterunternehmen der Deutschen Bahn - gewinnorientiert
  • Synaxon - DE - gewinnorientiert 
  • TOMS Shoes - US - gewinnorientiert)
  • Vollmer & Scheffczyk - DE - gewinnorientiert
  • W. L. Gore - US - gewinnorientiert
  • Whole Foods Market US - gewinnorientiert
  • Zappos - Tochterunternehmen von Amazon - US - gewinnorientiert

Schlußbetrachtung

Abschließend können wir aufgrund der vielen existierenden Beobachtungen behaupten, dass wir uns als Menschen in den letzten tausenden von Jahren in vielen Agenden weiter entwickelt haben. Organisationen, wie wir sie heute kennen, sind ein relativ neues Phänomen. Erst mit der industriellen Revolution begannen Organisationen, die große Zahl an menschlichen Ressourcen überhaupt erst für sich zu nutzen.

Wenn wir die aufeinanderfolgenden Stufen des Bewusstseins der Menschen und ihrer Organisationen auf die Zeitachse setzen, dann erhalten wir das überraschende Ergebnis, dass sich die Evolution zu beschleunigen scheint. Nie zuvor in unserer Geschichte gab es Menschen, die sich auf so viele Paradigmen gleichzeitig beziehen und diese erleben können. Das Gleiche gilt aber auch für Organisationen wo in derselben Region tribale, traditionelle, modern und postmoderne Organisationen nebeneinander agieren. In einer groben Verallgemeinerung kann man behaupten, dass tribale Organisationen an den Rändern unserer Gesellschaft nach wie vor existieren, traditionelle Organisationen, z.B. in Behörden, im Militär und religiösen Organisationen Anwendung finden. Das moderne leistungsorientierte Paradigma ist eindeutig die vorherrschende Form für Organisationen in der Wirtschaft, von Klein- bis zu Konzernunternehmen. 


Abbildung: Die menschlichen Paradigmen im Zeitraum von 10.000 Jahren

Postmoderne pluralistische Unternehmen sind zunehmend auf dem Vormarsch, und dies nicht nur in gemeinnützigen, sondern auch in gewinnorientierten Unternehmen. Auch das evolutionäre Paradigma mit seinen auf Sinnorientierung und Ganzheitlichkeit aufgebauten Organisationen ist in der Wirtschaft seit der Jahrtausendwende angekommen.

Wenn Menschen erstmalig von den aufbauenden Stufen der menschlichen Evolution hören, dann führt das oftmals dazu, dieses Wissen sofort und vereinfachend, wie auch reduzierend anzuwenden um dann damit die eigene Realität zu simplifizieren. Andererseits kann es bei Menschen auch zu Ablehnung führen, da ein einhergehendes „Schubladendenken“ in einer Evolutionsstufe bei diesen auch als eine Bewertung, sogar oft als Abwertung interpretiert werden könnte. Wir schaffen uns Probleme, wenn wir die vereinfachende Annahme treffen würden, dass die späteren Stufen der Evolution besser als die früheren sein würden. Denn genauso wenig, wie wir sagen würden, dass ein Kleinkind weniger wertvoll als erwachsener Mensch ist, können wir auch die Bewertung im Reifegrad der Menschen im Laufe seiner Entwicklung vornehmen. Es haben sich in beiden Beispielen jeweils nur die Möglichkeiten und die ihres Handlungsspielraumes erweitert.

Um eine weitere Simplifizierung zu vermeiden, müssen wir auch vorsichtig in der Beantwortung der Frage sein: In welchem Paradigma befindet sich die Organisation des jeweiligen Unternehmens? Ich gebe Ihnen dazu ein Beispiel:
  • Der Chef vergibt und verteilt aus einer Laune heraus die Gehälter an seine Mitarbeiter. Dies wäre ein Indikator für eine Organisation im tribalen Paradigma.
  • Wenn die Gehälter nach einer definierten Hierarchie festgelegt sind, in der der Mitarbeiter arbeitet, dann kann man wohl hier von einer Organisation im traditionellen konformistischen Paradigma sprechen.
  • Ein Gehaltssystem in dem Anreizsysteme für Mitarbeiter zur Erreichung definierter Zielsetzungen geschaffen wurden, ist sicherlich ein Indikator für eine Organisation im modernen leistungsorientierten Paradigma.
  • Eine Fokussierung von Bonuszahlungen und Incentives für Teams und  Arbeitsgruppen würde auf eine Organisation im postmodernen pluralistischen Paradigma hinweisen.

Wenn wir neben dem Gehalts- und Entlohngssystem, nun alle Strukturen, alle Praktiken und die Kultur einer Organisation betrachten, werden wir Schwerpunkte eines Paradigmas erkennen können, indem sich das Unternehmen befindet. Es wird also nie der Ausdruck eines einheitlichen Bildes erkennbar sein, aus dem die Organisationsform eines Unternehmens sichtbar wird, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Aspekte, die einen Schwerpunkt für ein Paradigma beschreiben. Ein Unternehmen agiert z.B. in Form einer modernen leistungsorientierten Organisation, wenn eine Vielzahl der Strukturen, Praktiken sowie die Kultur, durch das moderne leistungsorientierte Paradigma geformt wurde. 

In großen Organisationen können aber auch verschiedene Paradigmen vorherrschen. Zum Beispiel werden sie die Holding eines multinationalen Konzerns als moderne Organisationsform erkennen, während eventuell verschiedene Fertigungsstandorte aus einem traditionellen konformistischen Paradigma heraus agieren.

Die Kraft der Führung

Wodurch wird nun bestimmt, aus welcher Stufe einer Organisationsform heraus ein Unternehmen agiert? Häufig sind es die Führungskräfte, die bewusst oder unbewusst jene Strukturen, Praktiken und Kultur etablieren, von denen sie glauben, dass sie adäquat für den Umgang mit „ihrer Welt“ sind und die sie als sinnvoll erachten. Das lässt aber den Schluss zu, dass sich eine Organisation nicht weiterentwickeln kann, als die Entwicklungsebene, auf der sich die Führungskräfte dieses Unternehmens befinden.

Wenn man ein Werkzeug anwendet, dann übernimmt man meist auch die Managementphilosophie, die diesem Werkzeug innewohnt - Clay Shirky

Am Beispiel der Gestaltung eines Unternehmensleitbildes sind diese Aspekte gut sichtbar. Da es im Moment en vogue ist, fühlen sich viele Führungskräfte verpflichtet, Arbeitsgruppen zu bilden, um die gemeinsamen Werte in einem Leitbild auszuformulieren. Sich daran in Tagesentscheidungen und strategischen Fragen zu orientieren ist jedoch nur in postmodernen pluralistischen Organisationen ein Bedürfnis und daher sinnvoll. Moderne leistungsorientierte Organisationen orientieren sich bei ihren Fragen ausschliesslich am Erfolg bzw. dem Profit. Bei unserem oben beschrieben Beispiel einer modernen Organisation werden Führungskräfte zwar überwiegend ein Bekenntnis zu ihrem Leitbild abgeben, in schwierigen Situationen, in denen sie sich zwischen Wert und Profit werden entscheiden müssen, wird dann überwiegend zugunsten des Profits entschieden werden. Für Führungskräfte ist es daher scheinbar schwierig, ein Paradigma (wie im Beispiel, das postmoderne und pluralistische) aufrecht zu erhalten, dass aus der „Zukunft kommt“ und auf einer späteren und höheren Entwicklungsstufe basiert.

Führungskräfte können auf die nächste und kommende Bewussteinstufe des eigenen Unternehmens zweiseitig einwirken. Sie können Praktiken eines höheren Paradigmas wieder zurückziehen und daher unwirksam machen, so wie im oberen Beispiel beschrieben. Sie können aber mit der Schaffung von Strukturen, Praktiken und einer entsprechenden Kultur, es den Mitarbeitern ermöglichen, Verhaltensweisen anzunehmen, die in einem komplexeren (höheren) Paradigma typisch, jedoch in der eigenen Organisation noch nicht etabliert sind. Ein Beispiel dazu: 

Ein Angestellter in einer mittleren Führungsposition, der sein Unternehmen aus der jahrelangen traditionellen Organisation heraus sieht, betrachtet seine Mitarbeiter mit der „hierarchischen Brille“, gibt Vorgaben, was zu tun ist und kontrolliert deren Ausführungen. Durch eine Firmenzusammenlegung und Umgestaltung der Organisation werden Führungskräfte nun angehalten ihre Mitarbeiter mittels „Empowerment“ zu unterstützen und zu befähigen. Er sieht und beobachtet dabei seine neuen Kollegen in der Führungsmannschaft, die ihren Mitarbeitern ebenfalls Freiraum in deren Arbeit geben. Er erlebt die Vorteile für sich und die eigene Organisation Ein zweimal jährliches 360-Grad-Feedback seiner engsten Mitarbeiter gibt ihm die Möglichkeit die eigenen Fähigkeiten in Richtung Empowerment zu schärfen und daher auch höhere Boni-Zahlungen auf seinem Jahresgehalt zu ermöglichen. In solch einem Kontext einer postmodernen Unternehmensorganisation, wird er wahrscheinlich Verhaltensweisen und postmoderne Management-Fähigkeiten übernehmen. Der Kontext seines neuen Handelns hat ihn in ein höheres Paradigma gezogen, wodurch sein Tun komplexer wurde, als er es allein vermocht hätte. Mit der Zeit und einer entsprechenden Bereitschaft  ist es möglich, dass diese mittlere Führungskraft in die neue Stufe „hineinwächst“ und sich darin authentisch integriert.

Und dies ist die geniale Fähigkeit von Organisationen. Sie können Menschen als Gruppe dazu verhelfen, über sich hinauszuwachsen und Ergebnisse zu erzielen, die sie alleine nicht geschafft hätten. 

Fazit

Ich komme abschließend auf die eingangs gestellte Frage zurück: 

Warum fällt es Unternehmen oft so schwer, die passende Organisationsform für sich zu finden und sie nachhaltig zu beleben

Ich denke die Antwort auf die Frage bzw. Begründung, warum dies so ist, kann an vielfältigen Aspekten liegen und auch da wird es kein Erfolgsrezept geben. Diese Antwort überrascht sie sicherlich nicht besonders!

Aus der oben beschriebenen Betrachtung können wir jedoch folgende Erkenntnisse ableiten:

  • Organisationen und deren gelebtes Paradigmen werden maßgeblich von den obersten Führungskräften geprägt und getragen.
  • In Organisationen sind unterschiedlich gelebte Paradigmen möglich. Dies muss vorerst kein Widerspruch sein.
  • Organisationen streben zu Merkmalen und Ausprägungen (z.B. Hierachie in traditionellen Organisationen oder Empowerment in postmodernen Organisationen), die ihrem gelebten Paradigma gerecht werden.
  • Widersprüchliche Ausprägungen (z.B. Leitbildgestaltung und auf Werte-basierendes Führungsverhalten in modernen leistungsorientierten Unternehmen kann zu divergentem Verhalten und Irritationen führen.
  • Das erlebte Paradigma der eigenen Organisation ist veränderbar.

Auf die aktuelle Gesellschafts- und Wirtschaftsituation bezogen, ist dies eine hoffnungsvolle Einsicht in einer Zeit, in der wir das Bewusstsein eines postmodernen und pluralistischen, sowie eines evolutionären und integralen Paradigmas gut benötigen können, um damit beginnen zu können, die Welt von den „Wunden des modernen Paradigmas zu heilen“.

Literaturverzeichnis

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